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Pressemitteilung zur aktuellen Integrations- und Islamdebatte

21. Oktober 2010

Seit Wochen wird in Deutschland eine äußerst erhitzte Integrations- und Zuwanderungsdebatte geführt, in deren Mittelpunkt der Islam und muslimische „MigrantInnen“ stehen. Diese Stigmatisierung ist weder hilfreich noch trifft sie den Kern des Problems. Schon die Begrifflichkeiten stimmen oft nicht, insofern die heutigen Muslime in Deutschland mehrheitlich nie eingewandert sind, sondern hier geboren wurden, weswegen bereits der Begriff MigrantInnen irreführend ist.

Desungeachtet überschlagen sich Meldungen von „dem“ Islam und seinen Anhängern, die angeblich größere Integrationsdefizite aufweisen als Angehörige anderer Kulturen und Religionen. Diese Schlussfolgerung ist sachlich falsch und brandgefährlich. Dennoch berichten unzählige Talkshows, Radiosendungen und Zeitungsartikel von der Gefahr Islam, die auch bestimmte muslimische Protagonisten gerne heraufbeschwören wollen. Vom Salafisten bis zur „Islamkritikerin“ wird dem Bürger alles aufgetischt, um glaubhaft zu machen, dass Deutschland ein muslimisches Integrations- und Zuwanderungsproblem hat. Dabei sprechen die Zahlen eine andere Sprache. Jährlich wandern beispielsweise mehr Leute aus als ein. Deutschland ist somit ein Auswanderungs- und kein Einwanderungsland mehr!

Wir fordern die Politiker und Journalisten auf, verantwortungsvoll zu handeln und endlich die Debatte zu versachlichen und weniger zu ideologisieren. Es darf nicht darum gehen, Integrationsunwillige aufgrund ihrer religiösen, kulturellen oder ethnischen Zugehörigkeit künstlich in den Vordergrund zu heben, vor allem nicht aus parteitaktischen Gründen oder zur Steigerung der Auflage und Einschaltquoten. Religionszugehörigkeit ist höchst selten der alleinige Grund dafür, dass sich Menschen nicht integrieren können oder wollen.

Was wir in unserem Land brauchen, ist eine Diskussionskultur, die über die üblichen Stammtischparolen hinausgeht. Es ist dringend notwendig, offen und gleichberechtigt darüber zu debattieren, was deutsch ist und was die deutsche Kultur heute ausmacht. In einer globalisierten Welt ist es keine Lösung, einen Zuwanderungsstopp für Menschen aus der Türkei oder arabischen Ländern zu fordern oder gar eine Rückführung von MigrantInnen, die keine deutschen Staatsbürger sind. Es ist auch irreführend so zu tun, als ob Heerscharen qualifizierter Fachkräfte bloß darauf warteten, endlich Einlass nach Deutschland zu finden. Eher droht das gegenteilige Problem: Wir warnen davor, dass irgendwann niemand der erwünschten Einwanderer mehr kommen will, sollten die Debatten weiter mit Feindseligkeiten geführt werden; das gilt besonders, wenn der Aufstieg Chinas, Indiens oder Brasiliens so rasant weitergeht. Man sollte die Attraktivität einer „Willkommenskultur“ für Einwanderer nicht unterschätzen.

Wir unterstützen die Forderungen nach einer adäquaten Zuwanderung. Zugleich unterstützen wir die Forderungen, dass diejenigen, die sich absichtlich nicht aktiv um ihre eigene und die Integration ihrer Kinder bemühen, mit Konsequenzen bedacht werden. Als Musliminnen und Muslime danken wir dem Bundespräsidenten Christian Wulff für seine Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit, in der er unmissverständlich klar gemacht hat, dass auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehört. Umgekehrt stellen seine Äußerungen nun für uns alle eine Verpflichtung dar: zu einem klaren Bekenntnis zu diesem Land, zur Einhaltung seiner Gesetze, zur Partizipation an politischen und gesellschaftlichen Prozessen und zum Einsatz gegen Extremismus und Fundamentalismus jeder Art. In einem modernen Rechtsstaat mit Religionsfreiheit darf niemand ein religiöses Gesetz über die Verfassung stellen.

Der LIB e.V. vertritt die Meinung, dass das Bemühen um Integration und Zuwanderung erst dann konstruktiv weitergebracht werden kann, wenn die Mitglieder der Einwanderungsgesellschaft untereinander klären, welchen Beitrag sie zum Zusammenleben leisten müssen, und wenn die Aufnahmegesellschaft für sich klärt, welchen Beitrag sie zu leisten hat.

Wir sind davon überzeugt, dass Musliminnen und Muslime in diesem Land Wertvolles zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen (können) und plädieren für einen Dialog auf Augenhöhe, in dem es sowohl um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, aber eben auch um Chancengleichheit auf allen Seiten gehen muss.

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