Pressemitteilung zum Zustand des Islamischen Religionsunterrichts in Nordrhein-Westfalen
Der Liberal-Islamische Bund (LIB) ist beunruhigt über die in der medialen Berichterstattung zu lesenden Informationen zum Zustand des Islamischen Religionsunterrichts (IRU) in Nordrhein-Westfalen, der in Kooperation mit einer Kommission bestehend aus sechs islamischen Verbänden gestaltet wird („Islamunterricht: Ein Spielfeld für Ideologen“, WELT.de, 28.02.2022).
Rechtswidriges „Idschaza“-Vergabe-Kriterium
Die Vergabe der Lehrerlaubnis an Lehrer*innen (sog. „Idschaza“) war schon vor der gegenwärtigen reformierten Gesetzeslage zum IRU ein zentraler Streitpunkt wegen zahlreicher Beschwerden von muslimischen Lehrkräften, dass die Lehrerlaubnis nicht selten aufgrund von sachwidrigen Gründen seitens des vorherigen IRU-Beirats verweigert worden sei. Im letzten Gesetzgebungsverfahren zur Neuaufstellung des IRU wurde von mehreren Sachverständigen daher die gesetzliche Behandlung dieses Problems angemahnt (siehe u.a. die Stellungnahme 17/1531 des Fachverbands Verband der Islamlehrerinnen und Islamlehrer (VdI) e.V.). Mit der Novelle des Schulgesetzes wurde dementsprechend gesetzlich klar festgeschrieben, dass die Lehrerlaubnis nur aus theologischen Gründen verweigert werden darf (§ 132a Absatz 6 Satz 3 Schulgesetz NRW). Nun wird seitens der Kommission jedoch die Vergabe der Lehrerlaubnis an Lehrer*innen – neben der theologischen Qualifikation – auch an den Nachweis einer aktiven Moschee-Zugehörigkeit geknüpft.
„Dies ist als evident rechtswidrig zu bewerten“, erklärte Waqar Tariq, Jurist und Berater des Bundesvorstands des Liberal-Islamischen Bundes. „Die Lehrerlaubnis dient dazu, sicherzustellen, dass bei den IRU-Lehrkräften eine Bekenntnisgebundenheit zum Islam gegeben ist. Ob jemand aktiv (oder auch passiv) einer Moschee zugehörig ist oder nicht, ist aus islamisch-theologischer Sicht kein Kriterium für eine Bekenntnisgebundenheit zum Islam. Das Fehlen einer Moschee-Zugehörigkeit kann daher nicht als Begründung für eine Lehrerlaubnisverweigerung angeführt werden. Eine entsprechende Vergabevoraussetzung verstößt mithin gegen § 132a Absatz 6 Satz 3 Schulgesetz NRW. Auch eine gegebenenfalls als theologisch motiviert deklarierte Behauptung darf und muss vom Staat im Wege einer juristischen Plausibilitätskontrolle daraufhin geprüft werden, ob sie nachvollziehbar und schlüssig ist, um rechtsmissbräuchliches Verhalten zu verhindern. Einer solchen Kontrolle kann das Kriterium einer aktiven (oder passiven) Moschee-Zugehörigkeit nicht standhalten, da eine fehlende Moschee-Zugehörigkeit unter keinem erdenklichen islamisch-theologischen Gesichtspunkt die Frage der Bekenntnisgebundenheit zum Islam berührt.
Im Übrigen sei angemerkt, dass eine Moschee-Zugehörigkeit oder das Fehlen einer solchen auch nicht eine Aussage über den Grad der Religiosität einer muslimischen Person trifft: Man kann als gläubige muslimische Person gerade aus einer religiösen Motivation heraus eine Zugehörigkeit zu Moscheen aufgrund des in ihnen vertretenen Islamverständnisses ablehnen.“
Wir fordern die NRW-Landesregierung zum Handeln auf. Tariq: „Die NRW-Landesregierung ist aus ihrer Bindung an Gesetz und Recht (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) und aus ihrer rechtlichen Arbeitgeber-Fürsorgepflicht gegenüber den IRU-Lehrkräften – insbesondere gegenüber denjenigen muslimischen Lehrer*innen, die nicht Moscheen angehören – verpflichtet, sich aktiv schützend vor deren Rechte zu stellen und die Einhaltung der Gesetzeslage durchzusetzen. Als Exekutive lediglich ‚unglücklich‘ zu sein über die Situation ist keine akzeptable Handlungsoption für ein an Gesetz und Recht gebundenes staatliches Organ. Die Apathie, die die NRW-Landesregierung an den Tag legt, ist nicht hinnehmbar. Sie muss aktiv werden und intervenieren.“
Muslimischen Lehrer*innen, deren „Idschaza“-Anträge auf Grund dieses rechtswidrigen Vergabe-Kriteriums abgelehnt werden, raten wir, sich juristisch zur Wehr zu setzen.
Mangelhafter Umgang mit der Gesetzeslage und mit Antisemitismus durch die NRW-Landesregierung
Mit dem gegenwärtigen Verhalten setzt die NRW-Landesregierung bedauerlicherweise ihren mangelhaften Umgang mit der Gesetzeslage fort. Der LIB hatte bereits in seiner Pressemitteilung vom 19. Mai 2021 ausführlich dargelegt, dass die Aufnahme insbesondere von DITIB und Islamrat in die IRU-Kommission gegen die im Schulgesetz NRW normierten rechtlichen Voraussetzungen verstößt.
So fehlt es bei der DITIB NRW insbesondere an der gesetzlich geforderten Eigenständigkeit und Staatsunabhängigkeit. Denn jegliche „Reformen“ in der Satzung von DITIB NRW, die eine Eigenständigkeit und Staatsunabhängigkeit regeln sollen, werden letztlich durch eine Unterwerfungsklausel ausgehebelt (nähere Darstellung in der Pressemitteilung des LIB vom 19. Mai 2021). Laut der medialen Berichterstattung verfügt das NRW-Schulministerium nicht einmal über Kenntnisse dazu, ob selbst die (juristisch irrelevanten) Satzungsreformen in der Praxis eingehalten werden, obwohl selbst im hypothetischen Fall, dass Satzungsregelungen die Eigenständigkeit und Staatsunabhängigkeit satzungsrechtlich wirkungsvoll sicherten, es nicht bloß auf die satzungsrechtliche Lage, sondern vielmehr auf deren gelebte Praxis ankäme.
Die gesetzlich geforderte Verfassungstreue des Islamrats wiederum, der maßgeblich von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) geprägt ist, wurde von der NRW-Landesregierung selbst im Rechtsstreit um den IRU vor Gericht infrage gestellt. Der islamistische Gründer der Millî Görüş-Bewegung Necmettin Erbakan, der Antisemitismus verbreitete und auf dessen massiven Druck hin zu seinen Gunsten ehemalige IGMG-Vorstände nach einem Gerichtsurteil Steuerbetrug in Millionenhöhe gegenüber dem deutschen Staat begingen, wird von der IGMG bis heute verehrt. Erst kürzlich wurde Erbakan von dem IGMG-Bundesvorsitzenden Kemal Ergün als „bescheidener, idealistischer und kluger Staatsmann“ sowie als „aufrichtiger Muslim“ glorifiziert.
„Dass die NRW-Landesregierung beim Thema Antisemitismus Sensibilität vermissen lässt oder schlimmstenfalls die Augen verschließt, schmerzt“, betonte Odette Yilmaz, Erste Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. „Dabei müsste sie, wenn sie es ernst meint im Kampf gegen Antisemitismus, eine Null-Toleranz-Strategie verfolgen und proaktiver werden.“
Und schließlich: „Dass die IRU-Kommission nur kurze Zeit nach ihrer Konstituierung in einem desolaten Zustand ist, ist auch darin begründet, dass es ihr an Pluralität mangelt und es in ihr an einem hinreichend effektiven Korrektiv fehlt, das den diagnostizierten Missständen Widerspruch leistet. Durch das Fehlen einer dezidiert liberal-islamischen Organisation in der Kommission wird in ihr die Vielfalt der muslimischen Community nicht abgebildet. Die Aufnahme des LIB hätte das Potenzial gehabt, diese Fehlentwicklungen zu verhindern. Wie in unserer Pressemitteilung vom 19. Mai 2021 dargelegt, wurde die Bewerbung des LIB um einen Sitz in der IRU-Kommission jedoch durch die NRW-Landesregierung durch Anlegen doppelter juristischer Maßstäbe abgelehnt.
Die benannten Missstände führen unter Muslim*innen nur zu weiterem Vertrauensverlust in die Arbeit der Kommission und folglich in den Islamischen Religionsunterricht an nordrhein-westfälischen Schulen.“
DER VORSTAND, 24.03.2022