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Pressemitteilung zum Islamischen Religionsunterricht in Hessen

Zu den jüngsten Entwicklungen im Hinblick auf den Islamischen Religionsunterricht (IRU) in Hessen nimmt der Liberal-Islamische Bund (LIB) wie folgt Stellung:

Die rechtlichen Ausführungen im Gutachten des Staatsrechtlers Josef Isensee, auf die sich das Hessische Kultusministerium stützt, stehen auf juristisch vertretbarem Fundament. Sofern DITIB Hessen sie anfechten möchte, steht ihr der Rechtsweg offen. Einen Anspruch auf bekenntnisgebundenen Religionsunterricht hat eine religiöse Vereinigung nur dann, wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Dass sich Muslim*innen entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben organisieren, ist Aufgabe der Muslim*innen selbst, nicht des religiös-weltanschaulich neutralen Staates. Dass seitens des Ministeriums keine Böswilligkeit vorliegt, zeigt sich daran, dass es über einen längeren Zeitraum DITIB Hessen mit wiederholten Fristsetzungen die Möglichkeit zum Erfüllen der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben hat und auch jetzt statt einer Aufhebung des Bescheids/Verwaltungsakts das schonendere Mittel einer Vollzugsaussetzung gewählt hat sowie den Gesprächsfaden zu DITIB Hessen aufrechterhält. Außerdem zeigt der weiterhin bestehende Religionsunterricht der Ahmadiyya Muslim Jamaat, dass bei Erfüllen der rechtlichen Kriterien bekenntnisgebundener Religionsunterricht möglich ist.

Wenn seitens der im Koordinationsrat der Muslime (KRM) vertretenen Verbände behauptet wird, dass der künftig vorgesehene Unterricht über den Islam verfassungswidrig sei, ist dies unzutreffend. Der neue Unterricht stellt keinen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht nach Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz dar, sondern bekenntnisneutralen religionskundlichen Unterricht. Islamkunde ist nicht bekenntnisgebunden, wird also nicht in konfessioneller Positivität und Gebundenheit erteilt; das heißt, sie will die Lehren des Islams nicht als Glaubenswahrheiten vermitteln, sondern lediglich neutral informierend Wissen über den Islam vermitteln, was vom staatlichen Bildungsauftrag nach Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz gedeckt ist – dies ist in der juristischen Literatur anerkannt und wurde zuletzt u.a. vom Verwaltungsgericht Wiesbaden in seinem Beschluss vom 06.09.2019 (Az. 6 L 1363/19.WI), mit dem es einen Eilantrag des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) ablehnte, klargestellt. Ob muslimische Eltern das Angebot des religionskundlichen Islamunterrichts für ihre Kinder in Anspruch nehmen möchten, unterliegt ihrer freien Entscheidung.

„Wenn der ZMD Hessen in Frage stellt, dass der Staat eine Religion bekenntnisfrei unterrichten dürfe und muslimischen Eltern bzw. religionsmündigen muslimischen Jugendlichen rät, ihre Kinder bzw. sich nicht zum islamkundlichen Unterricht, sondern zum Ethikunterricht anzumelden, ist dies ein widersprüchliches Verhalten, da der Staat ja auch im Ethikunterricht über Religionen bekenntnisneutral aufklärt, ohne dass der ZMD dies in Frage stellt“, sagte Waqar Tariq, Berater des LIB, Koordinator der LIB-Gemeinde Frankfurt a.M. und ständiges Mitglied des Dialog Forums Islam Hessen (dfih) der Hessischen Landesregierung.

Dass der ZMD Hessen muslimischen Eltern und religionsmündigen muslimischen Jugendlichen vom islamkundlichen Unterricht an öffentlichen Schulen abrät und sich stattdessen mit den anderen KRM-Verbänden nun für einen Ausbau des Religionsunterrichts in den Moscheen stark macht, zeugt von tiefem Misstrauen gegenüber dem deutschen Staat, wohl dahingehend, dass dieser Falsches über den Islam lehren könnte. In Anbetracht der personellen und finanziellen Ressourcenknappheit der Moscheegemeinden ist es naheliegend anzunehmen, dass der Religionsunterricht in vielen von ihnen (auch) von den Imamen durchgeführt werden wird, darunter auch solche, deren Dienstherr die türkische Religionsbehörde Diyanet ist und die den türkischen Generalkonsulaten unterstellt sind. Der Türkei-Experte Günter Seufert hat in seinem turkologischen Nachtragsgutachten fundiert dargelegt, wie die inzwischen dem türkischen Staatspräsidenten direkt unterstellte Diyanet heute ein zentrales Instrument des AKP-Regimes für dessen antidemokratische, autokratische, nationalistisch-islamistische Agenda ist und ideologisch in diesem Sinne planmäßig eingesetzt wird. Wenn ein Verband wie der ZMD tiefes Misstrauen gegen den religiös-weltanschaulich neutralen deutschen Staat zum Ausdruck bringt, indem er vom religionskundlichen Unterricht an den öffentlichen Schulen abrät, gleichzeitig sich mit den anderen KRM-Verbänden für einen Religionsunterricht in den Moscheen stark macht, also offenbar keine Bedenken dahingehend zu haben scheint, dass muslimische Kinder und Jugendliche eventuell Unterricht von Imamen der Diyanet erhalten werden, wirft dies Fragen hinsichtlich seines ständig proklamierten Selbstverständnisses, deutsche Religionsgemeinschaft zu sein, und hinsichtlich seines Wertefundaments auf. Dies umso mehr, wenn man zudem bedenkt, dass laut Aussage vom 15.08.2016 des stellvertretenden ZMD-Bundesvorsitzenden Mehmet Alparslan Çelebi der ZMD-Mitgliedsverband ATIB alle seine Imame von der Diyanet bezieht.

Das Misstrauen, das gegen den religiös-weltanschaulich neutralen deutschen Staat bzw. gegen die Lehrkräfte des Islamkunde-Unterrichts geschürt wird, ist jedenfalls unbegründet und unangebracht. Muslimische Kinder und Jugendliche bedürfen eines fachdidaktisch professionell konzipierten und aufbereiteten Islamunterrichts – ein solcher kann von Moscheen nicht geboten werden. Solange ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht an öffentlichen Schulen aus juristischen Gründen nicht geboten werden kann, sollte dem islamkundlichen Unterricht als Mindestlösung eine Chance gegeben und gegen diesen bzw. gegen dessen Lehrkräfte nicht ohne Grund Misstrauen geschürt werden.

Insgesamt stellen die Stellungnahmen der KRM-Verbände kein verantwortungsvolles und konstruktives Verhalten dar und ermangeln substantiierter inhaltlicher Argumente.

Um das Vertrauen in den Islamkunde-Unterricht zu stärken, erscheint es ratsam, dass das Hessische Kultusministerium das Gespräch mit Vertreter*innen des Islams in Hessen sucht – hierbei sollten Vertreter*innen aller islamischer Strömungen der vielfältigen muslimischen Community berücksichtigt werden, so wie es etwa auch im Dialog Forum Islam Hessen (dfih) der Hessischen Landesregierung der Fall ist.

DER VORSTAND, 21.05.2020

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