Pressemitteilung zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht
Der Liberal-Islamische Bund nimmt den 80. Jahrestag der Reichspogromnacht zum Anlass, um seine tiefste Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen und klar Stellung zu beziehen gegen den Antisemitismus in unserem Land. Unseren jüdischen Glaubensgeschwistern sagen wir: Wir stehen fest an eurer Seite!
Antisemitismus ist eine der ältesten Formen des Menschenhasses. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde an die erste Stelle unserer Verfassung zu stellen, ist eine Reaktion auf die beispiellosen Erfahrungen im NS-Regime gewesen. Wer eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert und Hitler und den Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte kleinredet, will damit auch das Bewusstsein für den obersten Wert unserer Verfassungsordnung zum Verblassen bringen. Wer Juden angreift, verlässt mithin die Grundfesten unserer Verfassung.
Antisemitismus ist kein ausschließlich muslimisches Phänomen. 95 Prozent aller antisemitischen Straftaten sind rechts motiviert. Wer Antisemitismus als ein „importiertes“ Phänomen darstellt, verfälscht nicht nur eklatant die Faktenlage: Seit Gründung der Bundesrepublik hat es keinen Zeitpunkt gegeben, zu dem jüdische Einrichtungen nicht unter Polizeischutz stehen mussten. Er macht sich vielmehr auch mitschuldig am Antisemitismus, da er durch eine verfälschte Ursachenanalyse die Problemlösung be- bzw. verhindert.
Sofern sich antisemitische Haltungen auch bei manchen Muslimen wiederfinden, muss diesen entschieden u.a. durch politische und theologische Aufklärung begegnet werden. Im Koran finden sich unterschiedliche Aussagen zum Verhältnis von Muslimen zu Juden – manche Verse beziehen sich lediglich auf bestimmte jüdische Gruppierungen im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel, manche Verse sind dagegen überzeitlichen Charakters. Der hermeneutische Schlüssel findet sich in 3:113, wo es heißt: „Sie sind nicht (alle) gleich.“ Der Koran fordert Muslime also explizit dazu auf, nicht pauschalisierend über Juden zu denken, sondern zu differenzieren, die Würde eines jeden einzelnen Menschen zu achten (17:70; 7:11), Gerechtigkeit zu üben (16:90) und verspricht im Übrigen auch Juden ewige Glückseligkeit (2:62; 5:69). Wer Juden angreift, verstößt mithin gegen die grundlegendsten Werte des Islam.
Wir brauchen keine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, sondern heute mehr denn je eine Vertiefung und Erweiterung der Erinnerungskultur, auch derart, dass sie Menschen mit Migrationshintergrund zugänglich wird. Wie Bundespräsident a.D. Joachim Gauck in einer Rede im Jahre 2015 treffend sagte: „Wir alle, die Deutschland unser Zuhause nennen, wir alle tragen Verantwortung dafür, welchen Weg dieses Land gehen wird. Eine junge Frau aus einer Einwandererfamilie hat es in einem privaten Brief wunderbar formuliert: ‚Ich habe keine deutschen Vorfahren, aber ich werde deutsche Nachfahren haben. Und die werden mich zur Rechenschaft ziehen, wenn heute Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten auf unserem Boden ausgeübt werden.‘ Hier ist jemand eingetreten in eine Verantwortungsgemeinschaft, die nicht aus einer Erfahrungsgemeinschaft herrührt. Aber wir finden uns wieder in einem gemeinsamen Willen.“
Unser Wille als Muslime ist unverrückbar: Antisemitismus wird in diesem Land nicht geduldet werden. Heute nicht. Morgen nicht. Niemals.
DER VORSTAND, 09.11.2018