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Stellungnahme zu den aktuellen Geschehnissen

In der letzten Woche erreichten uns diverse Aufforderungen zur Positionierung in Bezug auf die aktuellen Geschehnisse. Wir möchten nun darauf eingehen, weshalb wir diesen nicht nachkommen.

Unser Grundsatz ist klar: keine außenpolitischen Äußerungen

Der Liberal-Islamische Bund e.V. äußert sich grundsätzlich nicht außenpolitisch. Dies ist eine Policy, die wir seit Jahren verfolgen und auch in Zukunft nicht verändern möchten. In Vorbereitung auf dieses Statement haben wir daher einen weiteren Vorstandsbeschluss dazu gefällt, dies beizuhalten. Wir sehen unsere politische Aufgabe darin, Impulse zu innenpolitischen und gesamtgesellschaftlichen Diskursen zu geben und an diesen aktiv mitzuwirken.

Ebenso weisen wir darauf hin, dass wir uns nicht in der Rolle sehen, komplexe außenpolitische Situationen aufzubereiten, einzuordnen und zugänglich zu machen. Hierfür sehen wir die Expertise bei entsprechenden politik- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachinstitutionen und gut recherchierten Medieninstitutionen. Eine Positionierung sollte insbesondere zu gesellschaftlich relevanten und heiß diskutierten Themen nicht verkürzt erfolgen. Da wir weder unsere Rolle darin sehen, noch einem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden können, möchten wir uns klar hinter unseren Grundsatz stellen, uns nicht außenpolitisch zu äußern.

Natürlich ist uns bewusst, dass außenpolitische Geschehnisse auch Menschen in Deutschland betreffen. Hier möchten wir an unsere Mitglieder und unseren Gemeinden nahestehenden Menschen das Angebot machen, sich mit ihren Bedarfen an uns zu wenden. Gerade in unserer Rolle als religiöse Gemeinschaft können wir hier versuchen, uns gegenseitig Halt zu geben und Räume und Angebote zu schaffen, in denen wir füreinander da sein können.

Wir tragen tiefe Trauer in unseren Herzen

Weiterhin möchten wir all unseren Geschwistern (unabhängig von deren Glaubens- und Religionszugehörigkeit – wir nutzen diesen Begriff dezidiert für alle Menschen, da wir Geschwister im Mensch-Sein sind) unsere tiefe Anteilnahme ausdrücken, die in der betroffenen Region um das Leben und die Gesundheit ihrer Lieben fürchten müssen oder schon Nachrichten über Tod oder Gräueltaten an ihren Lieben erhalten haben. Wir beten dafür, dass alle Überlebenden, Angehörigen und anderweitig Betroffenen Ansprechpersonen haben, mit denen sie reden können, wo immer nötig umfassende medizinische und psychologische Betreuung erhalten und dass sie eines Tages wieder Ruhe im Herzen finden können und diese schrecklichen Ereignisse verarbeiten können. Wir beten für alle, die ermordet wurden:

إِنَّا لِلَّهِ وَإِنَّآ إِلَيْهِ رَٰجِعُونَ

ʾinnā li-llāhi wa-ʾinnā ʾilayhi rāǧiʿūn
Von Allah/G*tt kommen wir und zu Allah/G*tt kehren wir zurück.

Q 2:156

Möge Allah/G*tt[1] sie nah zu sich nehmen und ihnen Ruhe und das Paradies schenken. Amīn.

Mit Erschrecken beobachten wir ein gesellschaftliches Klima, in dem es zu Brandschlägen auf Synagogen kommt (wie in der Nacht zum 18.10.), sich mitunter Diskurse und Leid jüdischer Menschen angeeignet werden, ohne jüdische Personen selbst zu Wort kommen zu lassen, auf den sozialen Medien Schreckensbilder zur antisemitischen oder antimuslimisch-rassistischen Stimmungsmache verwendet werden, Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt werden und Menschen aus diesem Generalverdacht heraus zu oben genannten teils sehr verkürzten Positionierungen und Distanzierungen gedrängt werden, ohne dabei aktiv Forderungen nach z.B. mehr politischer Bildungsarbeit zu Antisemitismus anzuschließen. Auch wollen wir auf die zeitliche Nähe zu hohen jüdischen Feiertagen und dem Jahrestag von Halle hinweisen, die kaum miteinbezogen wurde. Wir möchten uns daher insbesondere mit unseren Geschwistern solidarisieren, die neben ihrer Sorge oder Trauer um ihre Lieben hier in Deutschland mit Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus konfrontiert sind.

Wir beten für alle, die antisemitische und antimuslimisch rassistische Anfeindung in den letzten Tagen erleben mussten. Möge Allah/G*tt ihnen geben, was sie gerade benötigen, um ein Sicherheitsgefühl zu haben und zu verarbeiten, was geschehen ist. Amīn.

Ebenso gab es seitens nicht-jüdischer, nicht-muslimischer Akteur*innen sehr bedenkliche geschichtsrevisionistische Äußerungen, die z.B. durch eine vollständige Verlagerung von Antisemitismus in Deutschland auf Muslim*innen innerhalb des Narrativs „importierter Antisemitismus“ ein Ausspielen von marginalisierten Gruppen versucht haben. Wir wollen damit nicht sagen, dass es in muslimischen Communities keinen Antisemitismus gäbe, das wäre genauso falsch. Es ist klar zu benennen, dass es Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft gibt, das schließt Antisemitismus unter Muslim*innen entsprechend mit ein. Lösungen müssen daher auf alle gesellschaftlichen Gruppen bezogen gefunden werden, damit sich daran endlich etwas ändert.
Die logische Konsequenz daraus ist,  dass wir uns als Gesellschaft im Ganzen klar gegen Antisemitismus aufstellen müssen und das nicht nur in Lippenbekenntnissen, sondern ernsthaften Maßnahmen, wie im Bericht Antisemitismus in Deutschland (2017) vorgeschlagen. Ein Ausspielen von marginalisierten Gruppen halten wir für gefährlich und rufen dazu auf, dass unabhängig von Religions- und Gruppenzugehörigkeit baldige Maßnahmen gegen Antisemitismus auf struktureller, individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene ergriffen werden – insbesondere, wenn diese schon seit 2017 im genannten Bericht vorliegen und es letztlich nur um Fragen zur konkreten Umsetzung und Implementierung gehen dürfte, wenn ein deutliches Bekenntnis zu deren Dringlichkeit und Wichtigkeit ernst gemeint ist. Unseren Teil als Liberal-Islamischer Bund e.V. waren wir schon seit unserer Gründung und sind wir immernoch fest entschlossen, verbindlich dazu beizutragen.

Einmal mehr ist es an der Zeit, dass wir uns alle unserer Verantwortung bewusst werden, uns zu den Themen Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus und deren Überschneidungen zu bilden, unser Wissen hierzu zu reflektieren und uns aktiv gegen diskriminierende Strukturen und Handlungen zu stellen.

Wir beten für eine gerechtere, sicherere und solidarischere Gesellschaft in Deutschland und auf der Welt. Amīn.

Ebenso klar muss sein, dass wir uns als Gesamtgesellschaft dagegen wehren müssen, wenn alle Menschen, die arabisch gelesen werden, unter den Verdacht gestellt werden, Terrorist*innen zu sein und Muslim*innen in Sippenhaft genommen und zu Positionierungen gezwungen werden. Hierzu möchten wir auf den Bericht Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz (2023) hinweisen.

Handeln sollte unsere erste Priorität sein

Auch möchten wir darauf hinweisen, dass Statements zu diesen Themen leider auch zur Eigendarstellung missbraucht werden. Wir rufen daher alle dazu auf, sich empathisch um Betroffene und Angehörige zu kümmern und ins Handeln zu kommen:

  • Sprecht eure jüdischen und muslimischen Freund*innen und Bekannten darauf an, ob ihr sie gerade unterstützen könnt.
  • Sprecht eure Freund*innen und Bekannten, die einen biographischen Bezug zur Region haben, an, ob ihr sie gerade unterstützen könnt.
  • Stellt euch aktiv gegen antisemitische und antimuslimisch-rassistische Äußerungen (auch Äußerungen gegen muslimisch gelesene Personen – es gibt auch Christ*innen, Jesid*innen und Menschen anderer Religionen, die angefeindet werden oder/und aktuell betroffen sind)
  • Drängt die Politik darauf, mehr gegen Antisemitismus, gegen antimuslimischen Rassismus und für die Stärkung von Demokratie und Demokratiebildung in Deutschland zu tun. Insbesondere ist es wichtig, lautstark zu kritisieren, dass Bundesmittel, die für politische Bildungsarbeit bestimmt waren, gekürzt wurden. Gerade in der jetzigen Situation ist es umso wichtiger, mehr Gelder für Bildungsarbeit gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus zur Verfügung zu stellen, um bereits vorhandene wertvolle Angebote zu erhalten und zu erweitern.
  • Informiert euch zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus, sprecht andere Menschen darauf an, ob sie das mit euch gemeinsam machen wollen und stellt anderen Ressourcen zur Verfügung, wenn ihr die Kapazität dafür habt.

Außerdem möchten wir als Verein unser bereits zu einem anderen Zeitpunkt benanntes Angebot wiederholen, dass sich Jüdinnen*Juden bei uns melden können, wenn sie gerne von jemandem aus unserer Gemeinde vom ÖPNV zur Synagoge begleitet werden möchten. Wir können dies in Absprache an unseren Standorten Hannover, Köln und in Frankfurt am Main und Umgebung ermöglichen.

Ressourcen zur Weiterbildung

Wir möchten außerdem auf Ressourcen von Ofek e.V., der Bildungsstätte Anne Frank, I report und den von der Regierung beauftragten Berichten zu Antisemitismus (Antisemitismus in Deutschland, 2017) und Antimuslimischem Rassismus (Muslimfeindlichkeit – eine deutsche Bilanz, 2023) hinweisen. Unsere gesamte Gesellschaft sollte zudem diese Entwicklungen zum Anlass nehmen, sich eingehend zu informieren, um geschlossen gegen Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und jede andere Form von Hass, Terror und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu stehen.

Wir beten für alle, die Betroffenen Halt und Liebe geben. Für alle, die ihre Ressourcen zur Verfügung stellen, dass Menschen Erlebtes verarbeiten können. Für alle die da sind. Möge Allah/G*tt ihnen Kraft und Energie schenken und sie belohnen. Amīn.

18.10.2023 DER VORSTAND


[1] Wir möchten mit dieser Schreibweise zeigen, dass wir der festen Überzeugung sind, dass es sich hierbei um den gleichen Gott handelt.

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