Pressemitteilung zur „Imam“-Ausbildung des Islamkollegs Deutschland e.V.
Liberal-Islamischer Bund fordert eine konsequente geschlechtergerechte Konzeptionierung und Sprache
Der von muslimischen Verbänden, TheologInnen[1], WissenschaftlerInnen1 und Personen des öffentlichen Lebens Ende 2019 zwecks islamtheologischer praktischer Ausbildung von Moscheepersonal gegründete Islamkolleg Deutschland (IKD) e.V. teilte in seiner Pressemitteilung vom 27.10.2020 mit, dass er mit der Lehrplanerstellung für die bezweckten Ausbildungsgänge begonnen hat. Das Projekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums des Innern zur Umsetzung der Ziele der Deutschen Islam Konferenz gefördert und vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur kofinanziert.
Während die vom IKD e.V. dargestellten Inhalte des Ausbildungsprogramms in vielerlei Hinsicht vielversprechend und angebracht erscheinen, bleibt die Darstellung im Hinblick auf einen zentralen Gesichtspunkt unbefriedigend: nämlich der Berücksichtigung von Geschlechtergerechtigkeit.
Mit Bedauern und Sorge stellen wir fest, dass insbesondere die Imam*innen-Funktion rein männlich gedacht wird. Während sonstige Begriffe wie Seelsorger*innen, Gemeindebetreuer*innen etc. (binär-geschlechtlich) mit einem Binnen-I gegendert werden, wird mit Blick auf Imam*innen auf Website, Flyer, Plakat und in der Pressemitteilung durchgängig explizit die männliche Form gewählt, so dass die gewählten Formulierungen offenkundig nicht auf Fahrlässigkeit beruhen (z.B.: „Voraussetzung für die Imamausbildung ist ein Bachelorabschluss der islamischen Theologie. SeelsorgerInnen und GemeindebetreuerInnen sowie bereits tätige Imame können die Ausbildung modular absolvieren.“; „Das IKD wird die Tätigkeit eines deutschsprachigen Imams [sic], der Gemeindebetreuung und der islamischen Seelsorge ebnen und professionalisieren.“; „Berufsbilder – Nach Absolvieren der grundständigen Ausbildung kann der Beruf des Imam [sic] ausgeübt werden. SeelsorgerInnen und bereits als Imame [sic] tätige Personen können die Ausbildungsinhalte modular belegen und erhalten ein Weiterbildungszertifikat.“; „Tadschwid für Imame in Gemeinden“).
Dabei ist es eine jahrhundertealte Position auch in der traditionellen Theologie, dass Frauen ebenso die Funktion des Imamats inne haben können (siehe das LIB-Positionspapier „Frauen als Vorbeterinnen“). Eine Diskriminierung von Menschen anderer Geschlechter wäre ebenso wenig theologisch begründbar.
Das Projekt des IKD e.V. wird mit öffentlichen Mitteln finanziert. Bei der öffentlichen Förderung von Vorhaben ist der Staat an die Grundrechte, mithin insbesondere an die Beachtung umfassender Geschlechtergerechtigkeit gebunden (Artikel 3 i.V.m. Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz). Eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Tätigkeit des IKD e.V., die geschlechterdiskriminierend ist, wäre nicht hinnehmbar.
Im Übrigen wäre eine solche mit den selbstgesteckten Ansprüchen des IKD e.V. nicht vereinbar, versteht er seine Einrichtung als „Ausdruck innermuslimischer und gesamtgesellschaftlicher Anerkennung und wechselseitigen Respekts“, dessen Lehrinhalte „sich an der Lebenswirklichkeit der MuslimInnen in der freiheitlich demokratischen Grundordnung [orientieren]“, wozu u.a. „solides Grundwissen über gesellschaftliche und politische Zusammenhänge, Grundrechte, Toleranzentwicklung“ und „Inklusion, Identitätsstiftung und Persönlichkeitsstärkung“ auf akademisch fundiertem Niveau gehören sollen.
Wir fordern daher, dass der Gedanke der umfassenden Geschlechtergerechtigkeit sowohl in der Konzeptionierung der Ausbildung konsequent mitgedacht wird als auch bei ihrer sprachlichen Darstellung zum Ausdruck kommt. Sprache prägt das Bewusstsein und sollte Sichtbarkeit für alle geschlechtlichen Identitäten schaffen, will sie gerecht sein. Sprache kann Machtstrukturen und Ungleichheit in der Gesellschaft perpetuieren oder ihnen entgegenwirken. Eine konsequente sprachliche Inklusion von (trans und cis) Frauen sowie nicht-binären, agender, intergeschlechtlichen und queeren Menschen würde die Lebenswirklichkeit widerspiegeln und sollte für eine Einrichtung, die sich als „Ausdruck innermuslimischer und gesamtgesellschaftlicher Anerkennung und wechselseitigen Respekts“ versteht, eine Selbstverständlichkeit sein, zumal es in der Pressemitteilung des IKD e.V. heißt:
„Sprache ist für die Initiatoren des IKD nicht nur ein Medium der kommunikativen Vermittlung, sondern auch eine Möglichkeit, die mit und in der Sprache sich manifestierenden Werte kennen und verinnerlichen zu können. … Die Lehrinhalte orientieren sich an der Lebenswirklichkeit der MuslimInnen in der freiheitlich demokratischen Grundordnung.“
„Wir wünschen uns, dass in diesem Sinne die Lebenswirklichkeit aller Muslim*innen sowohl in den Lehrinhalten als auch in den Veröffentlichungen repräsentiert wird“, sagte Frederike Güler, 2. Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) und Koordinatorin der LIB-Gemeinde Göttingen. „Wie unsere Imamin Rabeya Müller bereits im Herbst 2018 bei einer Diskussionsrunde zur Imam*innenausbildung in Deutschland auf der Deutschen Islam Konferenz anmerkte, bedeutet dies für den Liberal-Islamischen Bund eine umfassende Geschlechtergerechtigkeit und die Gleichstellung aller Muslim*innen, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität, selbstverständlich auch in Funktionen wie denen als Imam*in. Dies ist in unseren Gemeinden längst eine gelebte Praxis. Mit dieser Realität muss sich in der Ausbildung theologisch auseinandergesetzt werden und sie sollte eine Selbstverständlichkeit in allen Veröffentlichungen sein.“
DER VORSTAND, 06.11.2020
[1] Übernommene Eigenbezeichnung.