Pressemitteilung im Nachgang der Deutschen Islam Konferenz
Konstruktiv streiten – das kann für die Muslim*innen in Deutschland nur förderlich sein
Auf der Auftaktveranstaltung der Deutschen Islam Konferenz vom 28./29.11.2018 in Berlin wurde heftig debattiert. Wir begrüßen diese innermuslimische Streitkultur ausdrücklich. Sie ist Ausdruck der neuen Vielfalt, die durch die Teilnehmenden der DIK abgebildet wird, und spiegelt in einer guten Weise die Heterogenität muslimischen Lebens in Deutschland wider.
In den Panels ging es unter anderem um die Frage, ob es einen „deutschen Islam“ geben und wie dieser aussehen kann sowie darum, wie infolgedessen eine Ausbildung von Imam*innen in Deutschland organisiert werden kann. Die DIK hat unseres Erachtens gezeigt: Einen deutschen Islam gibt es schon lange; er ist gerade durch diese Vielstimmigkeit beschrieben wie wir sie auf der DIK vernehmen konnten. Einen Absolutheitsanspruch darauf, „die“ Muslim*innen in Deutschland zu vertreten, kann keine der beteiligten Organisationen für sich erheben. Erst aus der gegenseitigen Anerkennung, bei klarer Benennung der Differenzen, kann ein sinnvolles Bild entstehen. Und auch nur im, gerne auch weiterhin kontroversen, Austausch werden wir in der Entwicklung und in der Bearbeitung anstehender Fragestellungen weiterkommen.
Der Liberal-Islamische Bund sitzt mit der Neuausrichtung der DIK erstmalig als Vertreter liberaler Muslim*innen mit am Tisch. Das wird zur Folge haben, dass Fragestellungen aus der alltäglichen Glaubenspraxis von Muslim*innen, die mit ihren Anliegen in den etablierten Verbänden keine Antworten finden und sich daher an uns wenden, erstmalig auch auf der DIK Gehör finden werden und ihre Anliegen Gegenstand der Auseinandersetzung sein werden. Das wird auch konservative Verbände dazu zwingen, sich diesen Fragen endlich zu stellen und ggf. neue Antworten auf diese zu finden.
In Bezug auf die Ausbildung von Imam*innen heißt das für den Liberal-Islamischen Bund z.B., dass in dieser verdeutlicht werden muss, dass es nicht den einen und einzigen richtigen Weg gibt. Dass theologische und die spirituelle Praxis betreffende Differenzen ausgehalten und anerkannt werden müssen. Unsere Imamin Rabeya Müller sagte dazu auf dem entsprechenden Panel: „Geschlechtergerechtigkeit und die volle Anerkennung von queeren Muslim*innen, selbstverständlich auch in Funktionen wie denen als Imam*in, ist in unseren Gemeinden längst eine gelebte Praxis. Mit dieser Realität muss sich in der Ausbildung auch theologisch auseinandergesetzt werden.“ Dies bedeute nicht, dass alle anderen Gemeinden gleichgeschlechtliche Trauungen vornehmen müssten – es müsse jedoch von ihnen anerkannt werden, dass wir dies auf theologisch begründeter Grundlage tun. Anerkennung bedeute auch, dass Muslim*innen, die eine solche Eheschließung wünschen, selbstverständlich mit unserem Angebot vertraut gemacht werden und ihnen nicht, wie es ein anderer Teilnehmender des Panels durchblicken ließ, nahegelegt wird, sich lieber sexuell umzuorientieren.
Eine harte Auseinandersetzung in der Sache, die dabei immer freundlich und anerkennend im Ton und Umgang bleibt, ist an dieser Stelle sehr zu begrüßen, da sie auch einen wichtigen Impuls für z.B. seelsorgerische Arbeit geben kann. Dabei sind queere Muslim*innen nur ein Beispiel unter vielen. Selbiges gilt unter anderem auch etwa für muslimische Frauen, die einen nicht-muslimischen Mann heiraten möchten. Auch sie haben bisher diese Möglichkeit nur in unseren liberalen Gemeinden. Wenn wir daran mitwirken können, hier auch bei anderen Gemeinden eine Öffnung voranzubringen, ist damit für die betroffenen Menschen sehr viel gewonnen.
Unsere religiöse Haltung ist es, den Menschen in seinem ganzen Wesen anzuerkennen, ihm eine spirituelle Heimat zu geben, die ihn in Liebe und Barmherzigkeit in seinem Sein annimmt, ohne in erster Linie auf eine paternalistische Normierung des Verhaltens abzuzielen. Das ist in unseren Augen eine der Kernbotschaften, die Gott uns über unseren Propheten offenbart hat.
Der Liberal-Islamische Bund sieht sich in diesem Sinne als Weg der Mitte und kann eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den bestehenden Polen einnehmen. Wir laden ausdrücklich alle ein, sich dieser Diskussion zu stellen. Sie kann uns gemeinsam nur weiterbringen. Gleichzeitig ist die gegenseitige Anerkennung auch eine klare Botschaft an die Ränder. Sie macht deutlich, welche Interpretationen gemeinschaftlich nicht als akzeptabel zu gelten haben: In unseren Augen sind das Formen politisierter Religion, die Herrschaftsansprüche stellen; jede Interpretation, die Religion dazu missbraucht, einen Überlegenheitsanspruch gegenüber anderen zu konstruieren und jede Form von Religiosität, die Raum für jegliche Art der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zulässt.
„Der Liberal-Islamische Bund freut sich auf die kommenden Diskussionen und setzt sehr viel Hoffnung in eine neue konstruktive Streitkultur“, stellten Odette Yilmaz und Frederike Güler, die beiden Vorsitzenden des LIB e.V., abschließend fest.
DER VORSTAND, 30.11.2018